Donnerstag, 19. Mai 2016

19-01

John Phillip Langellier,
General Custer.
Historie und Film: Vorwort von Brian W. Dippie
(Landshut: Verlag für Filmliteratur, 2002)
ISBN: 3-9802987-6 0
231 S. gebunden, zahlr. Abbildungen - 24,00 €

Langellier greift in seinem Werk einen zentralen Aspekt der amerikanischen Mythen auf: die Niederlage des 7. US-Kavallerie-Regimentes im Jahr 1876 gegen die Indianer. Mehr als zweihundert Offiziere und Soldaten fanden bei diesem Gefecht den Tod, unter ihnen George Armstrong Custer, der kommandierende Offizier des Regimentes. Obwohl die Indianer in diesem Gefecht siegten, verloren sie letztendlich doch. - Soweit der historische Hintergrund: ein ehrgeiziger Offizier opfert seine Truppen und findet den Tod in einem Kampf, bei dem er wohl den Überblick gründlich verloren hatte.

Diese Episode der Indianerkriege bildete jedoch die Grundlage für einen populären Mythos der amerikanischen Geschichte und des Western schlechthin: Custer's Last Stand wurde zum vielfach zitierten Vorbild, ein Synonym für Heldentum im Angesicht einer großen Übermacht, für übermenschliche Tapferkeit, für Mut und Kampfesgeist. Bildliche Darstellungen im 19. Jahrhundert und sehr bald auch schon der Film sowie später das Fernsehen griffen diesen Stoff auf und schufen Images, die in der Vorstellung sehr vieler Amerikaner und Europäer virulent waren und sind.

Langellier zeichnet in seinem Buch die Entstehung und Entwicklung des Custer-Mythos in den im Folgenden genannten Abschnitten nach. Die Einführung ist der Erfindung des Mythos gewidmet. Im ersten Kapitel findet sich eine knappe Biographie Custers während im zweiten Kapitel die frühen Formen der Custer-Verehrung dokumentiert werden. Die folgenden drei Kapitel beschäftigen sich mit der Verarbeitung des Mythos in Wildwestshows, Stumm- und Tonfilm sowie im Fernsehen. Ein kleines Filmlexikon sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis und einige Register runden das Buch ab, das mit zahlreichen Abbildungen illustriert ist. Deutlich wird in den darstellenden Kapiteln 3-5 herausgearbeitet, dass das Bild Custers in den Medien einem vielfachen Wandel unterworfen war. Während Custer zunächst als ehrbarer Held gezeigt wurde - in bester Erinnerung ist noch seine Verkörperung durch Errol Flynn in Sein letztes Kommando (They died with their boots on) aus dem Jahre 1941 - wurde seine Person auch in den Filmen und in der Literatur später immer stärker in Frage gestellt und die Darstellungen wurden teilweise weitaus differenzierter, vor allem aber kritischer: Custer wurde zum Verbrecher oder gelegentlich auch als wahnsinnig abgestempelt, wie in Little Big Man.

Langellier resümiert: "Im Laufe der Zeit [mögen] der historische Custer und die Einzelheiten seines Lebens gegenüber seiner Nützlichkeit als formbarer Mythos in den Hintergrund getreten sein. [...] Die zahlreichen Persönlichkeiten, die Custer von Generationen von Geschichtenerzählern zugewiesen wurden, haben ihn zu einem wertvollen Quellenmaterial geformt. Er ist ein sofort erkennbares Sinnbild, das in viele Verkleidungen schlüpfen kann, um eine bestimmte Botschaft an den Mann zu bringen." (148 f.)

Langellier schreibt verständlicherweise aus der amerikanischen Perspektive - so ist es nicht verwunderlich, dass nichtamerikanische Bearbeitungen des Stoffes weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Dies gilt auch für die fiktionalen Verarbeitungen. Von der deutschsprachigen Literatur seien darum hier zumindest noch Liselotte Welskopf-Henrichs Romane über die Sioux und Georg Golls Dakota-Romane erwähnt.

Insgesamt bietet Langelliers Werk aber eine wichtige Bereicherung der deutschsprachigen Literatur über den Western, deren Lektüre uneingeschränkt zu empfehlen ist. Dem Verlag ist für den Mut zu danken, ein solches Buch auch dem deutschen Publikum zugänglich gemacht zu haben.
(Karl Jürgen Roth)