Jörg WEIGAND - Zwischen Gesellschaftsroman und Pornographie.
Der Sittenroman im Leihbuch. Mit einem Nachwort von Rainer Schorm
Dieter von Reeken, Lüneburg 2021
(209 S., illustriert)
ISBN: 978-3-945807-59-0 -- 17,50 €
Leihbuchverlage und ihre Veröffentlichungen waren ein kulturhistorisches und buchgeschichtliches Phänomen der 1950er und 1960er Jahre. Jörg Weigand - der wohl beste Kenner der Leihbuchgeschichte - greift in seinem neuen Werk "Zwischen Gesellschaftsroman und Pornographie" das Subgenre der Sittenromane auf. Der Terminus 'Sittenroman' belegt, worum es in diesen Werken ging: Kurz gesagt, um alles was den herrschenden Sitten und Konventionen widersprach, womit zunächst einmal Erotisches oder gar Pornographisches gemeint war, wobei aber auch sonstige Verstösse gegen / Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen und politischen Konventionen im Mittelpunkt standen. Solche Bücher erregten natürlich die Aufmerksamkeiten der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und anderer Moralwächter. Dies führte zu einer Vielzahl von Indizierungen, die mit massiven Vertriebsbeschränkungen verbunden waren.
Sittenromane machten nur einen kleinen Teil der mehr als 30000 insgesamt veröffentlichten Leihbücher aus - es waren bloß ein paar hundert Titel, die Weigand auf rund 40 Druckseiten im einzelnen bibliographisch dokumentiert. Diese erstmalig veröffentlichte Übersicht ist neben einem Informationsteil über die Autoren grundlegender Bestandteil des Buches. Ebenso wertvoll sind Weigands ausführliche Abschnitte 'Die Tugendwächter' sowie 'Indizierte Romane'. Im letzteren bietet er anhand ausgewählter Beispiele eine gründliche Analyse darüber, wie die BPS gearbeitet hat, warum indiziert wurde und welche sonstigen Mechanismen hier wirksam waren. Der Verfasser hatte Zugang zu Materialien der BPS und kann diese ausführlich zitieren. Dies tut der Darstellung gut und macht sie zudem zu einer angenehmen und spannenden Lektüre.
Einige weitere Abschnitte runden das Buch ab, wobei ich gerne auf die reichlich vorhandenen Coverillustrationen der inzwischen doch selten gewordenen Sittenromane hinweise, die leider - ein kleiner Wermutstropfen - nur in Schwarzweiss (wenn man vom Umschlag einmal absieht) wiedergegeben werden.
Ich habe in Jörg Weigands "Zwischen Gesellschaftsroman und Pornographie" den einen oder anderen Sittenroman entdeckt, der mir bislang unbekannt war und ich habe zudem viel für mich Neues erfahren, so dass ich das kürzlich erschienene Werk jedem Sammler nur empfehlen kann und es zudem für jegliche weitere, auch wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Leihbuch als unentbehrlich bezeichnen möchte. (Karl Jürgen Roth, im Juni 2021)