Dienstag, 17. Mai 2016

17-08

Thomas Jeier, 
Am Ufer der Träume; 
Ueberreuter Verlag | Berlin – Wien 2012 
Gebunden – 320 S. – 14,95 € - 
ISBN 978-3-8000-5688-0

„Pünktlich um sechs Uhr früh läutete die Arbeitshaus-Glocke. Der dumpfe Klang riss Molly aus dem Schlaf und ließ sie verstört in den schwachen Schein der Öllampe blinzeln. Ihr taten alle Knochen weh.“ (76) – Knapp und prägnant schafft es Thomas Jeier die Situation seiner jungen Protagonistin in einem irischen Arbeitshaus zur Zeit der Kartoffelfäule Mitte des 19. Jahrhunderts zu charakterisieren.

Molly Campbell musste mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Fanny die kärgliche Heimstatt einer kleinen Farm verlassen und sich ins große Heer der hungernden Obdachlosen einreihen, die damals weite Teile Irlands durchzogen. Notgedrungen – und trotz aller Misshelligkeiten glückhaft – erreichen sie vor Einbruch des Winters die Aufnahme in einer Arbeitshaus. Doch auch dort ist die Situation und die Behandlung durch die Leitung des Hauses schlecht – nur die Hoffnung das Arbeitshaus und die dortige entwürdigende Behandlung im kommenden Frühjahr wieder verlassen zu können sowie ihr Traum halten sie aufrecht: „Wir fahren nach Amerika! Wir fahren nach Amerika und beginnen ein neues Leben!“

Zusammen mit dem jungen Bryan, in den Molly sich verliebt hat, erreichen die beiden Mädchen schließlich New York. Hier wird Molly von ihrem Freund getrennt. Molly und Fanny verdingen sich als Näherinnen in der amerikanischen Metropole. Die Arbeit ist schwer, der Lohn kärglich und die Wohnverhältnisse sind miserabel – Molly träumt aber weiter von einer Farm im Westen, wo sie mit Bryan leben kann. Sie trifft den jungen Mann unter dramatischen Umständen wieder, nur um bald erneut von ihm getrennt zu werden und bricht dann allein nach Texas auf ...

Sehr eindringlich gelingt dem Autor die Schilderung der Lebensverhältnisse ärmerer irländischer Auswanderer, die aus Not ihre Heimat verlassen mussten und versuchten, sich in der Neuen Welt eine Existenz aufzubauen. Insbesondere die Szenen obdachlos auf den Strassen in Irland, das Ausgeliefertsein im Arbeitshaus, das vom Kampf ums tägliche Brot bestimmte Leben in New York und Mollys Durchsetzungsvermögen bei ihrer Reise in den Westen prägen sich ein. Thomas Jeier malt hier kraftvolle Bilder, die während der Lektüre stark beeindrucken.

Natürlich handelt es sich streng genommen nicht um einen Western, aber Thomas Jeier hat in den Textpassagen, die nach Mollys Aufbruch aus New York spielen, doch sehr viele Westernelemente integriert, so dass der Roman auch dem 'Westernpuristen' einiges bieten kann. Die Darstellung der langen und schwierigen Reise auf dem Santa Fé-Trail soll hier stellvertretend für die Westernszenarien erwähnt sein. „Am Ufer der Träume“ gehört zu den besten historisch-romantischen Abenteuergeschichten des bekannten Verfassers – ausgezeichnet durch gründliche Recherche der historischen Fakten und eine spannende überzeugende Handlung, die an keiner Stelle des Buches Langeweile aufkommen lässt. – Somit ein Buch, welches ich sehr gerne weiterempfehle! (Karl Jürgen Roth, August 2012)